Der 30-Jährige ist sehr umtriebig: Er hat zwei Social Start-ups gegründet, ist Vorstandsmitglied im Social Impact Verein Münster, Gründungsberater im Team der FH Münster und an der TAFH Münster GmbH, Gründer des Jahres 2019 und Träger des Heimatpreises 2019. Im Interview erklärt der Social Entrepreneur, was soziales Unternehmertum bedeutet und wie er Brücken zwischen klassischem Unternehmertum und sozialen Innovationen bauen möchte.

Michael Kortenbrede ist Gründungsberater bei der TAFH Münter GmbH, Gründer, Vorstandsmitglied im Social Impact Verein Münster - und Absolvent der FH Münster. (Foto: privat)


Herr Kortenbrede, was ist mit Social Entrepeneurship oder sozialem Unternehmertum gemeint?

Soziales Unternehmertum vereint den sozialwissenschaftlichen Ansatz, der zum Teil eher wirtschaftskritisch geprägt ist, und die wirtschaftswissenschaftliche Denkweise. Sozialunternehmen sind wirtschaftlich, nachhaltig, sozial, und sie gestalten Gesellschaft zu etwas Positivem hin. Sie erkennen gesellschaftliche Herausforderungen und lösen diese. Einige "klassische" Wirtschaftsunternehmen haben das bereits verstanden: Sie gründen beispielsweise eigene Abteilungen für Corporate Social Responsibility (CSR) und beschäftigen sich mit Corporate Volunteering. Aber nur weil sie sich Nachhaltigkeit und gesellschaftliches Engagement auf die Fahne schreiben, macht sie das noch nicht zum Sozialunternehmen.

 

Was unterscheidet ein 'klassisches' Wirtschaftsunternehmen von einem Sozialunternehmen?

Klassische Wirtschaftsunternehmen haben oft die Schwierigkeit, ihre soziale Mission in den Fokus ihres unternehmerischen Handelns zu rücken, da sie nicht Teil ihres Geschäftsmodells ist. Ihre soziale Mission wird dem Profitstreben in den Wertschöpfungsketten ständig gegenübergestellt und auf Glaubwürdigkeit überprüft. Das unterscheidet sie von Sozialunternehmen - und ist ein riesiger Pluspunkt für Social Entrepreneurships.

 

Wie entwickelt sich derzeit der Bereich Sozialunternehmertum in der Gesellschaft?

Wir merken, dass Menschen in Kontakt kommen, die vorher nicht miteinander gesprochen haben oder die sogar miteinander konkurriert haben. Es kommen Menschen zusammen, die, die vorher nicht an einem Tisch gesessen haben: Die For-Profit- und die Non-Profit-Welt treffen aufeinander und das Sozialunternehmertum vermittelt zwischen ihnen. Das ist eine Entwicklung, die mich sehr freut. Alle müssen auf Augenhöhe zusammenkommen, um Sozialunternehmen erfolgreich zu machen. Wir brauchen den projektorientierten Handwerkskoffer der Wirtschaft und die Bekennung zum Nutzenversprechen und die Orientierung am gesellschaftlichen Nutzen aus der Sozialwissenschaft. Es geht nicht ohne einander.

Bei der Social Impact Night im September 2020 stellte Norbert Richter vom EinDollarBrille e.V. die Arbeit des Vereins vor: preiswerte Brillen für Menschen in Entwicklungsländern zu produzieren. Dieses Foto wurde vor der Corona-Pandemie aufgenommen. (Foto: FH Münster/Frederik Tebbe)

Können Sie ein Beispiel für ein gelungenes Sozialunternehmen nennen?

Ja, den Verein EinDollarBrille e.V., der mit einem Dollar Herstellungskosten Brillen für Menschen in Entwicklungsländern anfertigt. Dank der Sehhilfen können Kinder zur Schule gehen und Erwachsene wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden und so ihre Familie ernähren. Des Weiteren bildet der Verein vor Ort Brillenmacher*innen aus, wodurch die Leute in ihren eigenen wirtschaftlichen Kreislauf kommen. Somit bietet das Produkt einerseits einen Mehrwert für benachteiligte Menschen und andererseits werden Jobs generiert. Den Gründer, Martin Aufmuth, habe ich mal im Fernsehen gesehen und war sofort begeistert von der Idee. Auch den Ansprechpartner für das Münsterland, Norbert Richter, habe ich bereits persönlich kennengelernt.

 

Wie sind Sie selbst zum sozialen Unternehmertum gekommen?

2016 war ich mit einem Freund bei einer Start-up-Messe in Köln. Ich hatte zwar bereits die Idee für ein Modelabel, aber wusste noch nicht genau, wie und wo ich anfangen sollte. Auf der Messe hat Dirk Sander, Standortleiter des damaligen Social Impact Labs in Duisburg, der heutigen Impact Factory, einen Vortrag zum Thema "Wie gründe ich ein Sozialunternehmen?" gehalten. Er hat gefragt: "Ist hier jemand mit einer Gründungsidee?" Mein Freund hat spontan für mich aufgezeigt, und ich habe meine Idee kurz umrissen. Nach seinem Vortrag hat mir Sander seine Karte gegeben. Ich sollte mich bei ihm melden. Das Social Impact Lab vergibt Stipendien, die Gründer*innen mit Coachings, Mentorings und dem Aufbau eines Netzwerks unterstützt - allerdings gab es das damals für NRW nur in Duisburg. Heute gibt es ein weiteres Lab in Bonn. Und so bin ich sechs Monate von Münster nach Duisburg gependelt und habe erstmals Fachbegriffe, wie Pitch Deck und Social Business Canvas, kennengelernt. Von da an war ich Teil der Social Entrepreneurship-Szene, in die ich zufällig auf dieser Messe hineingestolpert bin.

 

Haben Sie auch im Studium nie etwas von Sozialunternehmertum gehört?

Nein, das war nie Thema während meines Studiums. Ich hatte vorher nie davon gehört. Deswegen habe ich auch nicht die Verbindung zwischen meiner Idee mit dem Modelabel und dem Bereich Sozialunternehmertum gesehen. Aber genau das ist heute meine Motivation: Ich möchte das Thema im Curriculum der FH Münster verankern, so dass Studierende schon im Studium davon erfahren. Ich möchte Alternativen zum klassischen Unternehmertum aufzeigen. Am Ende kann jede*r für sich selber entscheiden, ob für sie oder ihn Sozialunternehmertum eine denkbare Form ist.

Michael Kortenbrede (l.) mit dem Mitarbeiter Andreas Schönborn: Gemeinsam mit seiner Cousine Pia Brillen hat Kortenbrede das integrative Modelabel "bayti hier" aufgebaut. (Foto: bayti hier)

Und dann haben Sie 2017 das integrative Modelabel "bayti hier" gegründet.

Genau! In den Jahren 2015 und 2016 gab es eine hohe Zuwanderung von Migrant*innen, besonders aus dem arabischen Raum. Während der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern ist die Alternative für Deutschland (AfD) zweitstärkste Kraft geworden - noch vor der CDU. Das fand ich schockierend. Ich wollte dazu beitragen, dass Geflüchtete integriert werden und in Deutschland geborene Menschen ihre Vorurteile gegenüber Migrant*innen abbauen. Ich überlegte mir, dass ich geflüchteten Menschen eine Perspektive aufzeigen kann, indem ich ihnen helfe, finanziell unabhängig zu werden. Mit einem Modelabel unterstützen wir auf mehreren Ebenen: Erstens geben wir Geflüchteten eine Arbeit. Zweitens können wir mithilfe der Kleidung Botschafter*innen auf die Straße schicken, die für Offenheit und Toleranz stehen. Das erleichtert auf zweifache Weise die Integration von Menschen. Damit war "bayti hier" geboren - "bayti" ist Arabisch und heißt auf Deutsch "mein Zuhause".

 

Hatten Sie Hilfe bei der Gründung?

Ja, ich habe "bayti hier" gemeinsam mit meiner Cousine Pia Brillen gestartet. Sie ist hobbymäßige Schneiderin, ich habe den wirtschaftlichen Hintergrund. Mentor*innen hatten wir aber nicht. Gemeinsam haben wir jede Klinke selber geputzt. Aber ich habe auch nie gesagt, dass ich gründen will. Die Idee war mehr aus dem Bedürfnis geboren zu helfen. Ich war mitten im Studium, hatte Zeit und sagte mir: Wenn es klappt, ist alles super, aber wenn es scheitert, bin ich auch nicht ruiniert.

 

Inzwischen arbeiten Sie auch als Gründungsberater für Social Entrepreneurship an der TAFH Münster GmbH. Was ist Ihre Aufgabe?

Ich teile meine Erfahrungen mit anderen und helfe Menschen, die Idee des Sozialunternehmertums zu verbreiten und etwas in der Gesellschaft zu bewegen. Bei meiner Arbeit als Gründungsberater geht es häufig weniger um eine Beratung, sondern mehr um eine Sensibilisierung für das Thema Sozialunternehmertum. Wenn zum Beispiel Studierende aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Kontext in die Sprechstunde kommen, dann versuche ich ihnen klar zu machen, dass sie den gesellschaftlichen Impact ihrer Idee noch herausarbeiten müssen. Was ist die soziale Innovation hinter dem Geschäftsmodell? Bei Gründungsideen aus dem sozialwissenschaftlichen Kontext muss man die Angst vor dem Handwerkskoffer der BWL nehmen und aufzeigen, dass durch die Skalierung dieser Idee noch viel mehr gesellschaftlicher Impact geschaffen werden kann. Diese Auseinandersetzung mit den Studierenden und ihre intrinsische Motivation macht mir am meisten Freude.

Michael Kortenbrede (r.) im Einsatz: Er organisiert die Social Impact Night, hier im Gespräch mit Liefergrün-Gründer Niklas Tauch. (Foto: FH Münster/Frederik Tebbe)

Weiterhin sind Sie Vorstandsmitglied des Vereins Social Impact Münster e.V. und Mitinitiator der Social Start-up Stammtische, die jeden ersten und dritten Dienstag im Monat stattfindet. Wofür macht sich der Verein stark?

Der Social Impact Verein ist ein Interessenverein. Uns geht es darum, Menschen zu vernetzen, die sich auf lokaler Ebene für bessere Strukturen einsetzen. Bisher gab es so etwas noch nicht in Münster. Es gab ein paar Initiativen, aber bisher gab es noch keinen unabhängigen Verein. Damit haben wir angefangen, erste Veranstaltungen zu organisieren, wie zum Beispiel die Social Impact Nights, die Digital Impact Nights und die Social Start-up Stammtische an jedem ersten und dritten Dienstag im Monat. Die Community wächst stetig - nicht nur in Münster, sondern auch im Münsterland. Wir sehen, dass es bereits sehr viele Initiativen gibt, aber bisher fehlte es an einer zentralen Anlaufstelle. Daran arbeiten wir. Wir träumen, ähnlich zur Impact Factory in Duisburg, von einem Inkubator in Münster, so dass wir den Gründer*innen hier vor Ort helfen können. Münster als Studienstadt hat so viel Potenzial. Ich finde, deswegen muss es das hier geben. Wir wollen mit der Wirtschaft, mit Hochschulen und der Politik sprechen. Ziel unseres Vereins ist es, das Thema Sozialunternehmertum auf die Agenda zu setzen.

 

Welchen Rat geben Sie Gründer*innen?

Liebt eure Idee. Eine Unternehmensgründung braucht sehr viel Zeit - und Herzblut. Das, was ihr macht, muss sich richtig und gut anfühlen. Und was viele nicht wissen: Bei der Gründung eines Sozialunternehmens geht es viel um Wirkungsmessung. Die schwierigste Herausforderung ist, dass wir als Social Entrepreneurs nicht nur den Profit, sondern auch den sozialen Impact evaluieren müssen. Hilft unsere Arbeit wirklich den begünstigten Menschen? Wenn unsere Kleidung den geflüchteten Menschen nicht bei der Integration hilft, weil sie sagen, es berührt sie nicht, die Integration hat sich für sie nicht erleichtert, dann sind wir zwar ein Modeunternehmen, aber kein Sozialunternehmen mehr. Ein Social Entrepreneurship sind wir, wenn wir das Handeln von Menschen verändern können. Das muss gemessen werden. Neben dem, dass man ein in sich tragendes, nachhaltiges und wirtschaftliches Geschäftsmodell entwickeln muss, ist gerade die Wirkungsmessung die schwierigste Aufgabe bei der Gründung eines Sozialunternehmens.

 

Viele Gründer*innen haben Angst vorm Scheitern. Wie gehen Sie mit dem Thema um?

Generell ist Gründen Lehrgeld. Sowohl der Aufwand als auch die Kosten sind meist sehr hoch. Aber mit jeder Gründung wird es leichter. Ich rate allen Gründer*innen sich mit der nötigen Portion Respekt, Mut, Zuversicht und Optimismus in die nächste Idee zu wagen.

 

Haben Sie ein Rezept für die Gründung eines erfolgreichen Sozialunternehmens?

Im Grunde genommen sind es drei Schritte: Zunächst muss man den Handwerkskoffer der klassischen BWL verstehen und bedienen können. Denn nur mit diesem Handwerkszeug lässt sich ein Geschäftsmodell entwickeln. Um dieses Modell nachhaltig zu einem Sozialunternehmen aufzubauen, muss die soziale Innovation dahinter so durchdacht sein, dass sich etwas im Leben der Begünstigten zum Positiven ändert. Wenn das beides gegeben ist, muss man auf die Gründerpersönlichkeit schauen. Denn schließlich muss die Aufgabe nachhaltig bewältigt werden. Eine Gründung bedeutet viele Hürden zu nehmen, offen für Neues zu sein. Routinen sind selten in der Unternehmensgründung. Wenn die drei Komponenten zusammenkommen, hat man sehr gute Chancen ein Sozialunternehmen zu gründen und nachhaltig zu etablieren.



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